Montag, 17. November 2008

Siziliens Hauptstadt hat eine der größten Altstädte Europas

"Money talks", sagt die amerikanische Touristin mit augenzwinkerndem Insidergrinsen. Und macht pragmatisch aus Palermo und der Mafia eine simple Gleichung mit zwei guten Bekannten. Der Führer, der uns durch den Palazzo Mirto des Fürsten Lanza aus dem 18. Jahrhundert führt, zieht kaum merklich den Kopf ein. Als fürchte er, dass es gleich Putz und Stuck regne.

Gerade hat er uns erzählt, dass der Fürst seinen Titel vom Bourbonenkönig gekauft hat, als Sizilien neben Neapel zum "Königreich beider Sizilien" gehörte. Und dass der geräumige Stadtpalast, in dem Luchino Visconti ohne Platzangst seinen großen sizilianischen Endzeitfilm "Der Leopard" hätte unterbringen können, enorm kostspielig in Unterhaltung und modischer Anpassung gewesen sei; man sehe sich nur das Chinesische Zimmer an. Und dass in Palermo weitere Adelssitze, in denen früher filmreife Sommerbälle stattfanden, pittoresk vor sich hingammeln - manche schon, seit Garibaldi 1860 mit dem feudalen Italien aufräumte und die sizilianischen Adeligen ihre Ländereien in der Obhut ihrer Verwalter zurückließen. Dass überhaupt ganz Palermo von skandalösem Siechtum befallen sei. Weil gutes europäisches Geld für die Stadtruine meist zweckentfremdet auf mafiösen Konten landete. Trotzdem stimmt der Spruch der Amerikanerin nicht ganz.

Futtermeile Piazza Marina
Geld spricht in Palermo nämlich nicht, es versickert lautlos und es wird schweigend entrichtet von allen, die ihren Läden in Palermo einen störungsfreien Geschäftsalltag gönnen wollen. Deutet der Führer an, der dann aber nichts mehr sagen mag über jene mörderischen Schutzengel, die Palermo lange zu einer Art Vorhölle gemacht hatten.

Vor der mit Seidentapeten ausgeschlagenen fürstlichen Mottenkiste Palazzo Mirto pulsiert das Leben so, dass man annehmen darf, die siechende Stadt am Mare Tirreno habe sich vom Krankenlager davongestohlen, um nun draußen mit bester Gesundheit zu prahlen.

Ein Beispiel aktueller Selbstheilung liegt gleich um die Ecke. Die Piazza Marina war eine von bröckelnden Fassaden umgebene Müllgrube, bewacht von grotesk ausladenden Würgefeigenästen. Eine Art zu allem entschlossene Bürgerwehr, die Müll und Tod in der Stadt satt hatte, rückte dem Stilleben zu Leibe und schaufelte daraus einen alten Park mit breitem Restaurantsaum, worum sich nun vor allem am Wochenende gestikulierende Menschentrauben scharen, die mehr oder weniger ungeduldig auf freie Tische warten. Klingelndes Besteck auf Porzellan ist allemal ein gesunder Sound.

Herrliches Chaos
Gasseneinwärts riecht es nach Wäsche, Staub und Knoblauch, wobei letztere Gerüche mit Sisyphus-Anstrengung immer wieder aus den Klamotten herausgewaschen werden, nur damit sie jene bereits während des Trocknens wieder aus der gesättigten Luft saugen.

Die Gassen hängen zwischen Stockwerk eins und fünf voll von dieser anrührenden Beflaggung. Wer das unschuldig fotografieren will, kann schon mal von einem jugendlichen Vespa-Ritter zur Rede gestellt werden, weil man gerade auf sein Bettlaken fokussiert. Für uns schiebt sich zur Rettung ein Trauben-und-Tomaten-Händler ins Bild, der einer Frau zwischen flatternden Handtüchern im Vierten eine Korbladung Rohkost fertig packt, die dann als schwankende Vitaminbombe am Seil nach oben ruckelt. Nebendran wird gerade die Straße aufgerissen, beobachtet von der allgegenwärtigen Madonna, die aus ihrem Schrein gütig dem Treiben zuschaut. Noch eine Ecke weiter prangt eine Kreuzwegstation aus Verkehrsschildern, deren Gebote und Pfeile sich herrlich ad absurdum führen. Europäische Verkehrsregeln und Ampeln gibt's noch nicht so lange in Palermo und in den Seitenstraßen wirkt das manchmal wie ein poetischer Schilderstreich von Vorschriften-Anarchos.

Zwei links, zwei rechts, dieses Schlendermuster im rumorenden Gassenverlies Palermos funktioniert ganz wunderbar. Irgendwann weitet sich die familiäre Enge immer wieder zu einem Platz mit Geschichte, Schönheit und berühmten sizilianischen Eiscafés, meist unerwartet und in perfektes Licht getaucht.

Mekka für Kunsthistoriker
Zwischen Via Roma und Via Maqueda stolpern wir hinein in ein Stelldichein klassischer Marmorschönheiten aus Mensch- und Tierreich. Die enorme Fontana Pretoria aus dem 16. Jahrhundert wurde anfangs hin- und hergeschoben, weil sie dem König zu groß, der Bevölkerung zu erotisch war.

Goethe empfand den opulenten Brunnen als "Raserei". Jetzt sprengt dieser die Dimension des Rathausplatzes, eingebettet in Fassadenrenovierungsarbeiten, direkt gegenüber vom Studentenviertel mit seinen Bars und Restaurants.

Auch nebenan, auf der Piazza Bellini, müssen sich harmoniesüchtige Blicke an bauliche Stilblüten und den eigenwilligen Niederschlag der bewegten Vergangenheit Palermos in sakraler Architektur gewöhnen. Die Kirche La Martorana wurde 1143 von Georg von Antiochia, einem Großadmiral der normannischen Eroberer Siziliens, gestiftet. Der gehörte als orthodoxer Christ zwar zu den siegreichen Kreuzrittern der Normannen, hatte sich aber die Sprache der vertriebenen Araber angeeignet. Diese hatten fast 200 Jahre lang Sizilien von Palermo aus regiert.

Folglich sind arabische Ornamentik, byzantinisch-orthodoxe Kreuzform und der später lateinisch veränderte Grundriss sowie die barocke Außengestaltung eingeflossen. Ein toller Tatort für detektivisch angehauchte Kunstgeschichte-Freaks.
Autor Martin Mueller